So erquicke sein Herz – Oktober 2011

(veröffentlicht am Di, 04. Oktober 2011 auf badische-zeitung.de)

Wenn Antipoden verschmelzen

Es liegt ein Hauch von St. Florian über dem von den warmen Spätsommersonnenstrahlen erleuchteten Inneren der Klosterkirche von St. Peter: Der hochbarocke Prunk der oberösterreichischen Basilika und die bescheideneren Formen des Vorarlberger Barocks im Schwarzwald gehen unter den Klängen von Bruckners f-Moll-Messe eine Symbiose ein – und diejenigen, die dieses Zauberkunststück vollbringen, sind der Freiburger Kammerchor und sein Dirigent Morten Schuldt-Jensen. Das hat viel damit zu tun, dass der dänische Chorleiter und sein Ensemble zum Abschluss der Musiktage St. Peter Bruckners Klangblöcke auf ein kammermusikalisches Maß „herunterzoomen“. Was diesem großartigen Werk gleichwohl nicht in seiner Substanz schadet, im Gegenteil: Unter Schuldt-Jensens behutsamem, diffizilem Zugriff kommt die filigrane Faktur von Bruckners Musik zum Vorschein. Insofern leuchten gerade Stellen wie das innige „Et incarnatus est“ oder das lyrische „Benedictus“ aus dem Ganzen heraus.

Gleichwohl ist der Chor für seinen ausgeprägt homophonen, schlanken Klang nicht genug zu loben. A-cappella-Stellen wie das „Qui tollis“ sind von ausgesprochener Sicherheit und Schönheit und auch der dynamische Zugriff ist vorbildlich. Nicht ganz Schritt hält mit solcher Qualität am Ersten der beiden Konzertnachmittage in der gut besuchten Kirche das Orchester des Kammerchors. Obwohl in der Tendenz auch eine Ästhetik des intimen, dichten Musizierens verfolgend, obwohl mit zahlreichen großartigen Einzelleistungen wie den verführerischen Violinsoli (Swantje Hoffmann) aufwartend, fehlt hier der letzte homogene Schliff, zumal bei den Streichergruppen.

Exzellent dagegen das Solistenquartett. Klaus Häger verleiht ihm ein profundes Bassfundament; der Tenor Andreas Weller überzeugt einmal mehr mit lyrisch-empfindsamer, klarer Linienführung; Sonja Bühler weiß mit hellem, mitunter sogar fast zu grellem, höhensicherem lyrischem Sopran zu überzeugen. Und Ingeborg Danz’ großartige, kraftvolle Altstimme setzt dem Konzert ein besonderes Glanzlicht auf: mit Brahms’ „Alt-Rhapsodie“. Der golden-dunkle Grundduktus ihres Gesangs, ihre Kunst der bruchlosen Linienführung sowie ihre makellose Artikulation wirken wie geschaffen für diese „intime“ (Brahms), herbstlich pessimistische Musik. Die Herren des Kammerchors und das hier sehr sorgfältig musizierende Orchester federn diese exzellente Darbietung professionell ab. Und vor dem Hintergrund solchen Musizierens wird man des Gegensatzes der beiden Antipoden Brahms und Bruckner gar nicht mehr so gewahr. Gute Musik – wie Architektur – bedarf eben keiner Polemiken.