Der sinnlich greifbare „Paulus“

veröffentlicht in gedruckter Form

am Mi, 18. Dezember 2019

Von Alexander Dick

Mit Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium feierte der Freiburger Kammerchor sein 50-jähriges Bestehen.

Dirigent Lukas Grimm Foto: Pro

„Lobe den Herrn“ singt der erweiterte Freiburger Kammerchor voller Inbrunst, ehe der Dirigent Lukas Grimm für die Schlussfuge des „Paulus“ das Tempo nochmals anzieht und Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium mit tänzerischer Leichtigkeit zu einem unpathetischen Ende führt. Der Chor hat nach mehr als drei Stunden Musik immer noch genügend Reserven, um die Spitzentöne zu stützen. Leidenschaft, Überwältigung, aber auch spirituelle Tiefe prägen diesen berührenden „Paulus“ im nur mäßig besetzten Freiburger Konzerthaus.

Schade, dass Klaus Hövelmann, der Gründer und langjährige Leiter des Freiburger Kammerchores, diesem Festkonzert zum 50-jährigen Bestehen des Ensembles aus gesundheitlichen Gründen fernbleiben musste. Der Vorsitzende Thomas Litterst erinnerte an dessen leidenschaftliches Engagement, Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach würdigte die hohe Qualität und den „wandelbaren Charakter“ des Ensembles. Diese Wandelbarkeit wollte Lukas Grimm auch im Jubiläumskonzert zeigen. Deshalb sang zur Eröffnung der Freiburger Kammerchor in seiner aktuellen Besetzung Johann Sebastian Bachs Motette „Lobet den Herrn, alle Heiden“ mit gestoßenen Koloraturen und großer Transparenz. Gelegentliche Intonationstrübungen im Sopran und rhythmische Ungenauigkeiten sorgten allerdings für einen gemischten Höreindruck.

 

Überzeugender wirkte da Grimms eigene Komposition „Festgesang“, die zwischen den beiden „Paulus“-Teilen uraufgeführt wurde und die altgriechischen Worte „Wir danken Gott jederzeit für euch alle“ aus dem ersten Thessalonicher-Brief vertont. Ausgehend von in sich kreisenden Figuren in den Flöten bricht sich die Frohe Botschaft Bahn, sorgt für Bewegung und Kontemplation und wird von Blechfanfaren und Paukenwirbeln geschärft.

Für den „Paulus“ ist der Freiburger Kammerchor mit ehemaligen Mitgliedern und dem Vokalensemble ProMusicaViva aus Luzern vergrößert. Das erstklassig besetzte Freiburger Kammerorchester wird von Konzertmeister Johannes Blumenröther vom SWR-Symphonieorchester angeführt. Mit einer hochemotionalen Interpretation, die die Extreme ausschöpft, ohne je ins Plakative abzugleiten, gelingt Grimm mit seinen Klangkörpern Außergewöhnliches. Dabei ist schon in der Orchesterouvertüre, die den Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ enthält, der beseelte Ton dieser Aufführung zu hören. Im ersten Turba-Chor „Dieser Mensch hört nicht auf zu reden“ wird das Volk zu einem fanatisierten Mob, der sich erst durch die Stimme von Susanne Müller (Sopran) im anschließenden Rezitativ und luftigen Streicherakkorden wieder beruhigen lässt.

Florian Cramer (Tenor) berührt durch große Innerlichkeit, Manfred Bittner (Bass) zeigt einen kernigen, auch verletzlichen Paulus. Hanna Roos (Alt) komplettiert das gute Solistenensemble. Das homogene Freiburger Kammerorchester sorgt wie bei Saulus’ Bekehrung für eindrucksvolle Farbwechsel und gestaltet jedes Detail, so dass dieser „Paulus“ auch sinnlich greifbar wird.